Andere Länder, andere Grounds – Brüssels Zweitvertretung
Schon seit einigen Monaten war bekannt, dass ich Mitte September in Brüssel weilen werde. Deshalb durchforstete ich in den Sommermonaten eifrig die Spielpläne der beiden belgischen Profiligen und war zunächst enttäuscht, als das fußballerische Aushängeschild der Stadt - Anderlecht – schon freitagabends Lokeren empfing.
Allerdings ist mit Royal Union Saint-Gilloise ein weiterer
Hauptstadtklub in der zweiten belgischen Liga vertreten. Glücklicherweise trägt
der 1897 gegründete Fußballklub die Heimspiele meist samstags aus, so auch in
dieser Woche. Die sportlichen Glanzzeiten der Gelb-Blauen liegen nahezu ein
Jahrhundert zurück, 1935 wurde der bis dato letzte und insgesamt 11.
Meistertitel errungen. Aufgrund großräumiger Umbauarbeiten, die zurzeit an der
eigentlichen Heimstätte des Zweitligisten vorgenommen werden, wurde das
Nationalstadion König Boudewijnstadion seitens RUSG
vorübergehend zur neuen Heimstätte erklärt.
Die Ausgangslage
Zugegebenermaßen verfolge ich den belgischen Profifußball
kaum, Informationen über die aktuelle sportliche Lage beider Teams musste ich
mit bescheidenen Französischkenntnissen mühsam dem Internet entnehmen. Meine
Rechercheaktivität fiel deshalb auch relativ knapp aus, beide Mannschaften
befinden sich zurzeit auf Mittelfeldplätzen in einer Liga mit gerade einmal
acht Teams. Wirklich bekannte Spieler standen bei keinem Klub unter Vertrag,
lediglich der Liechtensteiner Sandro Wieser und Neo-Roeselarer war für mich
aufgrund seiner Vergangenheit in der österreichischen Bundesliga kein
Unbekannter. So fuhr ich mit geringen Erwartungen in Richtung Stadion, sollte
aber vor allem von der Fanszene eines Besseren belehrt werden.
Das König Boudewijnstadion
Die vorübergehende Heimstätte der Hauptstädter wird auch
regelmäßige von der belgischen Nationalmannschaft genutzt und umfasst knapp 50
000 überdachte Sitzplätze. Seit der Eröffnung 1930, damals noch unter dem
historischen Namen Heysel-Stadion,
wurde die Sportstätte dreimal renoviert, zuletzt kurz vor der Jahrtausendwende.
Aktuell verfolgen die Infrastrukturverantwortlichen das Konzept einer
multifunktionalen Arena, so trägt die Laufbahn zwischen Tribüne und Spielfeld
nicht wirklich zu einer besseren Stimmung bei. Die weißen Flutlichtmasten sind
schon aus der Ferne sichtbar und agieren als Orientierungshilfe auf dem kurzen
Weg von der U-Bahn-Station bis zu den Eingängen. Von der Haupttribüne aus ist
mit dem Atomium eine namhafte
Sehenswürdigkeit sichtbar, besonders beeindruckend ist der Anblick des
beleuchteten Bauwerkes in der Nacht.
Grundsätzlich verfügt das König Boudewijnstadion über ein beinahe durchgängiges Oval, das in
vier Zonen geteilt ist. Einzig die Haupttribüne unterscheidet sich optisch von
den anderen Sektoren. Nach der Eingangskontrolle gelangt man durch einen
kleinen Park in den Innenraum des Stadions, welcher eher einem Wohnhaus als
einem modernen Fußballstadion gleicht.
Während der gesamten
Saison öffnet RUSG lediglich die Haupttribüne für Heimfans sowie den
Gästesektor. Die restlichen Tribünen bleiben aus Kostengründen leer, ein
absoluter Imageverlust für Verein und Liga. Der Eintrittspreis liegt bei
einheitlichen € 15, Tickets sind problemlos vor Anpfiff an den Tageskassen zu
kaufen.
Der Zahn der Zeit
nagte an der Sportstätte, luxuriöse VIP-Logen oder Medienplätze existieren
nicht, das Stadion scheint die Umrüstung zu einem modernen Eventtempel längst
verschlafen zu haben, selbst die Public-Seats wirken altmodisch und
austauschwürdig. Die Eingänge sind ebenfalls noch nicht mit elektronischen
Ticketscannern ausgestattet, dafür wurden eigens Ticketabreißer installiert. Darüber hinaus gibt es
freundlicherweise Ordner, die einem den Weg zu seinem Sitzplatz weisen. Eigentlich
unvorstellbar, dass zahlreiche Topstars der belgischen Nationalmannschaft in
dieser Arena auflaufen, um ihre Heimspiele auszutragen.
Zu allem Überfluss
sorgen hohe Zäune zwischen Tribüne und Laufbahn und eine Vielzahl weiterer
Barrieren für ein eher unangenehmes Fußballerlebnis, allzu lange wird die
aktuelle Sportstätte wohl nicht mehr in diesem Zustand verweilen können.
Die Gastronomie
Auch der
Gastrobereich dürfte in den letzten Jahren nur wenige Veränderungen miterlebt
haben und gleicht einem besseren Landesliga-Sportplatz. In den Katakomben
bietet ein notdürftig errichteter Kiosk gleich neben dem Fanshop-Tisch alkoholfreie
Getränke (0,25 l) zum Einheitspreis von € 2 an. Zunächst warten die durstigen
Gäste bei der Kasse auf die Ausgabe eines Getränkebons und ziehen nach der
Bezahlung prompt in Richtung Ausschank weiter. Im Stadioninneren herrscht
außerdem striktes Alkoholverbot. Speisen sind nur auf dem Stadionvorplatz zu
erwerben, das Angebot fällt hierbei gering aus. Zur Halbzeit war gerade einmal
ein Food-Truck vor Ort, welcher zwei verschiedene Burger für in etwa € 5 anbot.
Zumindest die Mitnahme der Getränke und Burger war erlaubt, sodass ich
pünktlich zu Beginn der zweiten Halbzeit zurück auf meinem ursprünglichen Platz
angekommen war.
Die Fanszenen
In Belgien ist es anscheinend üblich, das Stadion erst
wenige Minuten vor Anpfiff zu betreten. Die heimische Fanszene versammelte sich
in einem nahegelegenen Pub, umging somit das Alkoholverbot im Stadioninneren
und marschierte gut 15 Minuten vor Ankick in Richtung Eingang. So kam es an
dieser Stelle zu längeren Wartezeiten an den Drehkreuzen, durch den an diesem
Tag aber - wie erwartet – gering ausfallenden Zuschaueransturm, gelangten
schlussendlich alle Besucher rechtzeitig auf ihre Plätze.
Meine Erwartungshaltung war zunächst gering,
zugegebenermaßen habe ich damit beide Fanszenen unterschätzt. KSV Roeselare
wurde von knapp 30 mitgereisten Sympathisanten unterstützt, die durch eine
ansprechende Zaunbeflaggung des Gästesektors eindeutig zu identifizieren waren.
Hin und wieder waren auch Sprechchöre aus ihrer Kurve zu hören.
Eine überzeugende Vorstellung boten die Fans von RUSG über
die gesamten 90 Minuten. Der Fanblock befindet sich auf der linken Seite der
Haupttribüne und erinnerte größtenteils an den typisch britischen Stil. Der
Mangel an optischen Signalen wurde durch eine überdurchschnittlich gute und
lautstarke Unterstützung kompensiert. Die überwiegend auf Französisch
vorgetragenen Gesänge wurden von einer Trommel begleitet. Als Vorsänger agierte
ein älterer Herr ohne Megaphon, der die Stimmung immer wieder anheizte. Der
Spielverlauf trug ebenfalls dazu bei, die Atmosphäre in respektable Höhen zu
schrauben. Die Mitmachquote blieb auf einem konstant hohen Niveau, einzig die
Liedauswahl erschien limitiert. Gegen Ende des Spiels gab es eine Schalparade
sowie eine ausgiebige Siegesfeier inklusive Shakehands mit der Mannschaft.
Grundsätzlich besteht die Fanszene der Brüsseler eher aus älteren Fußballfans,
die wohl schon erfolgreichere Zeiten miterleben durften.
Das Spiel
Nach einigen Geburtstagsglückwünschen, die dem Kapitän der
Heimischen galten und einer Schweigeminute, gab der Schiedsrichter die Partie
frei. Sofort übernahem die Heimmannschaft das Kommando und setzte nach 5
Minuten ein erstes Ausrufezeichen. Einen scharfen Kopfball von Bertjens konnte
der enorm starke Gästekeeper Biebauw gerade noch entschärfen. Wenige
Augenblicke späte vergab Bertjens erneut aus fünf Metern, diesmal alleine vor
dem gegnerischen Tor, kläglich. Auf einem tiefen Untergrund waren technische
Mängel vieler Spieler relativ schwer zu übersehen, dennoch war vor allem die
Heimmannschaft darauf bedacht, klare Verhältnisse herbeizuführen.
In Minute 28 wurde den Hauptstädtern ein Eckball
zugesprochen, den die Gäste nur mit viel Mühe und auf Kosten einer weiteren
Ecke entschärfen konnten, welche erneut zu einer weiteren Standardsituation
führte. Diesmal fand die gut geschlagene Flanke einen Abnehmer. Gertjan Martens
stand goldrichtig und nickte aus 10 Metern in die rechte Kreuzecke ein. Torwart
Biebauw konnte den Rückstand zur Freude der Heimsympathisanten nicht verhindern.
Acht Minuten später klingelte es abermals im Gehäuse der
Gäste. Nach einem Ballverlust im Spielaufbau marschiert Gilloise-Akteur Tabekou
in Richtung Grundlinie. Seine Hereingabe klärt Lemoine wunderschön und
unhaltbar für Biebauw in das eigene Tor, bald darauf pfiff der Schiedsrichter
auch schon zur Halbzeit.
Roeselare agierte auch nach der Pause nicht unbedingt
profitauglich, gerade einmal sechs Minuten nach Wiederanpfiff markiert
Perdichizzi nach einem weiteren Eckball das 3 : 0. Die Partie war somit
entschieden, der Wille der Gäste gebrochen und RUSG blieb weiterhin gefährlich.
So erzielte der auffällige Bertjens in Minute 68 das letzte Tor des Abends. In
weiterer Folge gab es kaum nennenswerte Torchancen, erst in Minute 80 kamen die
Gäste zu ihrer einzig nennenswerten Gelegenheit, der Schuss ging aber knapp am
Tor vorbei. Kurz vor Schluss scheiterte Tabekou nach einem Solo aus der eigenen
Hälfte an der Stange und gleich darauf verhinderte ein Spieler der
Heimmannschaft auf kuriose Art und Weise das 5 : 0. RUSG siegte somit in dieser
Höhe verdient gegen enttäuschende Gäste. Aus meiner Sicht ähnelt das
spielerische Niveau jenem der zweithöchsten österreichischen sehr, einen
fußballerischen Leckerbissen durfte man ohnehin nicht erwarten.
Fazit
Insgesamt wurden meine Erwartungen mehr als nur übertroffen,
vor allem die Atmosphäre war größtenteils beeindruckend, auch wenn das Stadion
nur zu einem Bruchteil gefüllt war. Die Gastrobereiche sind verbesserungswürdig
und erinnern keineswegs an einen professionell geführten Profibetrieb,
allerdings sind die Kapazitäten ausreichend und der Veranstalter ist aufgrund
der teuren Stadionmiete um Kosteneinsparungen bemüht.
Das spielerische Niveau beider Mannschaften dürften nicht
allzu viele Besucher anlocken, ähnlich verkrampfte und einseitige Partien gibt
es auch in Österreich zur Genüge. Summa summarum wird den Zusehern für € 20 ein
durchschnittlich attraktives Fußballspiel mit Überraschungseffekten geboten.
Sofern es zeitlich möglich ist, sollte man RUSG jedenfalls besuchen. ohne gibt
es in Brüssel mit RSC Anderlecht nur einen weiteren Profiklub, weitere Vereine
liegen allerdings in - mit den öffentlichen Verkehrsmitteln - akzeptabler
Reichweite.
Abschließend sei auch an dieser Stelle erwähnt, dass ich
während meiner Visite zahlreiche neue und interessante Eindrücke gewonnen habe,
ein ganz normaler Groundhopping-Tag eben, wenn auch im Ausland.
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